Historische Persönlichkeiten
Gesichter unseres Aufstiegs
Die Entwicklung unseres Unternehmens seit seiner Gründung 1856 ist trotz mancher Krisen und Umbrüche bis heute eine Erfolgsgeschichte. Das verdanken wir vielen Menschen, die seit über 165 Jahren für KWS gearbeitet haben beziehungsweise dies bis heute tun. Stellvertretend für diese vielen stellen wir einige Persönlichkeiten aus der KWS Geschichte vor, die auf unterschiedliche Weise unternehmerische Verantwortung getragen und unser Unternehmen auf Kurs gehalten haben.
Weitblick in der DNA – Landwirt und Unternehmensgründer Matthias Christian Rabbethge (1804–1902)
Ein Unternehmen zu gründen ist dem Ackerbauern Matthias Christian Rabbethge (1804–1902) nicht in die Wiege gelegt. Von einem kleinen Hof in der fruchtbaren Magdeburger Börde stammend, mehrt er zielstrebig seinen Besitz, kauft schließlich einen Landwirtschaftsbetrieb in Klein Wanzleben und erwirbt gleichzeitig zehn Anteile der Zuckerfabrik vor Ort. Rabbethge hatte die Potenziale dieses neuen Industriezweigs erkannt. Nach und nach übernimmt er die Aktien seiner Miteigner und hält schließlich ab 1856 die Mehrheit am Unternehmen – es ist die Geburtsstunde der KWS.
Vor allem mit zwei Entscheidungen führt der „Mützenmann“ das junge Unternehmen in die Erfolgsspur. Mit seinem Schwiegersohn Julius Giesecke holt er sich einen kapitalstarken Partner an seine Seite. Außerdem lässt er seine beiden Söhne studieren ─ damals unter Landwirten eine eher seltene Investition in die Zukunft. Nachdem er so die Weichen gestellt hat, gibt der Senior 1864 die Unternehmensverantwortung an Julius Giesecke und seinen Sohn Matthias Rabbethge weiter.
Bis zu seinem Tod mit 98 Jahren verfolgt er das Auf und Ab seines Lebenswerks und sieht seine Vision von einer zuckerreichen und damit profitablen Rübe verwirklicht.
Pionier der Zuckerrübenzüchtung – Matthias Rabbethge junior (1832–1885)
Die Kernkompetenz der KWS besteht bis heute in der Züchtung neuer, in ihren Eigenschaften verbesserter Pflanzensorten. Den Grundstein für den Weg zu einem weltweit führenden Züchtungsunternehmen legt Matthias Rabbethge. Auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden züchtet der studierte Ökonom systematisch und geduldig so erfolgreich zuckerreiche Rüben, dass ihn sein schärfster Konkurrent „den Meister in Deutschland“ nennt. Für die finanzielle Absicherung der kostenintensiven Züchtungsarbeit sorgt Julius Giesecke. Er heiratet die einzige Tochter des alten Rabbethge und entwickelt erfolgreich die landwirtschaftlichen Betriebe weiter. So erhöht er die Anbauflächen für die Saatgutvermehrung von 50 auf über 1.000 Hektar.
Trotz dieser positiven Entwicklung gerät das Unternehmen in eine existenzbedrohliche Krise, als innerhalb weniger Jahre zunächst Julius Giesecke und vier Jahre später 1885 Matthias Rabbethge sterben. Hohe Investitionen und stark fallende Zuckerpreise führen zu Liquiditätsschwierigkeiten. Mit dem Tod des jüngeren Rabbethge kommt es zum Crash. Gläubiger und Banken hatten das Vertrauen verloren.
Retter in der Not – Carl Valentin Rabbethge (1842–1890)
Carl Valentin Rabbethge gelingt es, den drohenden Konkurs abzuwenden. Der weichende Erbe hatte sich in Einbeck eine eigene Existenz als Landwirt und Zuckerproduzent aufgebaut. In der Krise kehrt er nach Klein Wanzleben zurück und gewinnt mit Verhandlungsgeschick und Engagement das Vertrauen der Kreditoren und neuer Investoren. Auf der Grundlage des gut gehenden Rübensamengeschäfts gründet der ausgesprochene Familienmensch das Unternehmen als Aktiengesellschaft neu. Carl Valentin Rabbethge führt die AG innerhalb kurzer Zeit zu wirtschaftlichem Erfolg und lässt 1885 das „Kleinwanzlebener Original“ Zuckerrübensaatgut patentrechtlich als erste Schutzmarke und erstes Warenzeichen der KWS registrieren. Allerdings erschöpft ihn die Doppelbelastung der Leitung seiner Betriebe in Klein Wanzleben und Einbeck so, dass er bereits 1890 an einem Herzleiden stirbt.
Umsichtiger Unternehmer – Ernst Giesecke (1859–1930)
Vorausschauend und zielstrebig führt Ernst Giesecke die Kleinwanzlebener Aktiengesellschaft durch eine lange Periode der Stabilität und des wirtschaftlichen Aufschwungs. Nach dem frühen Tod seines Onkels leitet der 31-Jährige die Geschicke zunächst zehn Jahre allein. Giesecke setzt konsequent auf Rationalisierung und Erweiterung durch den Einsatz der neuesten technischen Errungenschaften seiner Zeit in der Landwirtschaft.
Dazu gehört auch der Bau einer Feldbahn. Über das siebzig Kilometer lange Gleisnetz transportieren ihre Loks und Waggons ab 1906 Zuckerrüben und Saatgut von den umliegenden Gütern nach Klein Wanzleben. Aber nicht nur in diesem Bereich hat er Weichen für die weitere Entwicklung gestellt: 1900 gründet die Firma in der Ukraine die erste Filiale im Ausland, der bald weitere folgen. Einen guten Instinkt beweist er mit seinem Gespür für die Bedeutung von Wissenschaft in der Züchtung, als er Wilhelm Raatz als Saatzuchtleiter und zwei weitere Fachleute ins Unternehmen holt. Sie machen die Kleinwanzlebener Zuckerrübenzüchtung um die Jahrhundertwende zum Weltmarktführer.
Große Anerkennung erfährt sein vielseitiges Engagement, als Kaiser Wilhelm II. Giesecke 1911 zu einem der elf Gründungssenatoren der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft ernennt. In der Vorgängerinstitution der heutigen Max-Planck-Gesellschaft versammelt sich damals die naturwissenschaftliche Elite des Landes.
Gemeinsam mit seinen Vettern Erich und Oscar Rabbethge, die inzwischen im Vorstand mitverantwortlich sind, treibt das Dreiergespann in den 1920er-Jahren die Erweiterung des Portfolios um die Züchtung von Kartoffeln, Getreide und Futterrüben voran. Für die rund 2000 Mitarbeitenden investiert die Firma in dieser Zeit in neue Wohnsiedlungen, Beamtenhäuser, ein Badehaus mit Arztstation und eine Spielschule.
Als Ernst Giesecke 1930 stirbt, hat er seine Nachfolge längst weitsichtig geregelt. Für ihn rückt sein Schwiegersohn Karl Büchting in den Vorstand nach, den er bereits 1918 ins Unternehmen geholt hatte.
Impulsgeber der Zuckerrübenzüchtung – Wilhelm Raatz (1864–1919)
Der Mathematiker, Naturwissenschaftler und Botaniker Wilhelm Raatz hat Bahnbrechendes für die Zuckerrübenzüchtung geleistet. Die von ihm auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse entwickelten Züchtungsschemata haben Züchter weltweit bis in die 1970er-Jahre eingesetzt. Anhand aufwendiger wissenschaftlicher Versuche und Analysen stellt der KWS Saatzuchtleiter am Ende des 19. Jahrhunderts fest, dass die beiden wichtigsten Züchtungsziele hoher Ertrag und hoher Zuckergehalt züchterisch nicht in einer Rübe vereinbar sind. Eine optimale Zuckerausbeute lässt sich nach seinen Beobachtungen nur durch eine Ausgeglichenheit zwischen schwer und zuckerreich erreichen. Aus seinen Erkenntnissen entwickelt er eine Wertzahltabelle, die jahrzehntelang die Zuckerrübenzüchtung prägt.
Wegweisend ist auch seine Einteilung des Zuchtmaterials in vier Grundtypen: Das Verhältnis von Zuckergehalt und Gewicht klassifiziert er in ertragreich (E), normal (N), zuckerreich (Z) und sehr zuckerreich (ZZ). Der Wirrwarr bisheriger Bezeichnungen hatte damit ein Ende. Rübensorten ließen sich seitdem auf Anbaubedürfnisse und Bodenqualitäten abstimmen.
Verantwortung in schweren Zeiten – Oscar Rabbethge (1880-1965) und Karl Büchting (1887-1982)
Ab 1910 lenkt Oscar Rabbethge die Geschicke des Unternehmens für 41 Jahre. Er ist vorrangig für die Züchtung und Produktion verantwortlich. Karl Büchting, der 1930 seinen Schwiegervater Ökonomierat Ernst Giesecke nach 43-jähiger Vorstandtätigkeit ablöst, übernimmt die kaufmännischen und unternehmerischen Aufgaben. Kaum hat KWS die Folgen des Ersten Weltkrieges, der Inflation und unglücklicher, unternehmensfremder Investitionen wirtschaftlich gemeistert, ziehen die dunkelsten Jahre der deutschen Geschichte auf, an deren Ende die Flucht aus Klein Wanzleben steht.
Für die Feldarbeiten in Klein Wanzleben beschäftigte KWS seit Beginn des 20. Jahrhunderts saisonale Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter. Die meisten kommen aus Polen und Russland. Sie erhalten Lohn, Unterkunft und Verpflegung. Der NS-Staat entrechtet diese in der Landwirtschaft im Kriegsverlauf immer unentbehrlicheren, freiwilligen Hilfskräfte zu kasernierten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern. Dazu zählen auch Kriegsgefangene. Im Amtsdeutsch heißen diese Arbeitskräfte „Ostarbeiter“. Ihren „Lohn“ behält der Staat über verschiedene Zwangssteuern ein.
Die Lebensverhältnisse der bei KWS tätigen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter lassen sich mangels betroffener Zeitzeugen und spärlicher Quellen kaum rekonstruieren. In dem Bewusstsein, dass es sicher auch in Klein Wanzleben leidvolle menschliche Schicksale gegeben hat, ist das Unternehmen im Jahr 2000 der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ beigetreten, deren Ziel es ist, Opfer nationalsozialistischer Zwangsmaßnahmen zu entschädigen.
Treibende Kraft des Neuanfangs – Carl-Ernst Büchting (1915–2010)
Zwei Tage, nachdem Carl-Ernst Büchting aus dem Krieg nach Klein Wanzleben zurückgekehrt ist, muss er sein Heimatdorf bereits wieder verlassen. Er gehört zu einem Konvoi, mit dem die britische Militärregierung kurz vor dem Einmarsch der russischen Armee Elitesaatgut, Forschungsunterlagen, Labormaterial, Fachleute und die Familien Rabbethge und Giesecke in einer spektakulären Nacht-und-Nebel-Aktion in ihren Einflussbereich ins niedersächsische Einbeck verfrachtet (ausführlicher in der KWS Chronik nachzulesen).
Mit diesem geretteten Zuchtmaterial baut Carl-Ernst Büchting mit seinem Vater Karl Büchting und seinem Schwiegervater Oscar Rabbethge das Unternehmen im Westen aus kleinsten Anfängen neu auf – immer seinem Lebensmotto folgend: „Man muss aus jedem Hindernis ein Sprungbrett machen.“ Der bereits 1946 begonnene Bau eines Speichergebäudes ist das größte private Bauprojekt in der britischen Besatzungszone.
Andreas J. Büchting nannte seinen Vater Carl-Ernst einmal respektvoll einen Hobbyjuristen mit Liebe zur Landwirtschaft und Wissenschaft. An einem internationalen Übereinkommen zum Schutz neuer Pflanzensorten im Jahr 1961 hat der studierte Zuckertechnologe maßgeblichen Anteil – mit Auswirkungen auf die Branche weltweit. Zahlreiche Ehrungen spiegeln seine Verdienste für den nationalen und internationalen Rechtsschutz wider.
In seinen Vorstandsjahren von 1951 bis 1978 treibt Carl-Ernst Büchting außerdem das Auslandsgeschäft voran. In den USA gelingt es ihm, den Markt wieder für Zuckerrübensaatgut zu öffnen. Mit unternehmerischem Weitblick führt er KWS dort sogar an die Marktspitze. In Deutschland erwirbt die heutige KWS das damals größte deutsche Getreideunternehmen Ferdinand-von-Lochow-Petkus. Seit 1955 ergänzt Mais das Produktportfolio.
Mitte der 1970er-Jahre bringt Carl-Ernst Büchting eine Anregung aus dem Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung mit: den Einstieg in die biotechnologische Forschung. Der bescheidene Unternehmer, verheiratet mit der Urenkelin des Firmengründers, folgt damit konsequent einem weiteren Zitat, das er gern nutzte: „Die Zeiten ändern sich und wir uns mit ihnen.“
Garant der Unabhängigkeit – Andreas J. Büchting (geboren 1946)
Als Vertreter der sechsten Generation übernimmt Andreas J. Büchting 1978 als Sprecher des Vorstands die Leitung der KWS. Der promovierte Agrarbiologe steht für den Wandel unseres Unternehmens in der Kommunikations- und Führungsstruktur von eher patriarchalisch zu kollegial.
In der Nutzung der sich rasant weiterentwickelnden biotechnologischen Züchtungsmethoden setzt Büchting auf Dialog und Transparenz. Das von ihm angeregte Kuratorium Pflanzenzüchtung, ein auch mit Kritikern grüner Gentechnik besetztes Gremium, das bis 2015 biotechnologische Züchtungsansätze bei KWS kontrovers diskutiert und evaluiert, sucht in der Branche seinesgleichen.
Die 1980er- und 1990er-Jahre stehen im Zeichen des Wachstums mit Augenmaß. Forschungsbasiert und zukunftsorientiert setzt Büchting Akzente im kontinuierlichen Ausbau der internationalen Aktivitäten. Ein Schwerpunkt liegt im systematischen Ausbau der Mais- und der Hybridroggenzüchtung. In seiner Zeit übernehmen nun zunehmend auch Frauen Führungspositionen bei KWS.
Andreas J. Büchting hat keine Berührungsängste mit dem deutschen Nachbarstaat. In den 1980er-Jahren besucht er mit einer KWS Delegation das Institut für Zuckerrübenzüchtung der DDR in Klein Wanzleben. Es entwickeln sich lockere Geschäftsbeziehungen. Obwohl es betriebswirtschaftlich nicht zwingend erforderlich wäre, setzt sich Büchting nach der Wende dafür ein, dass KWS an seinen Gründungsstandort zurückkehrt und hier in eine leistungsfähige Zuchtstation investiert.
Ganz besonders liegt „AB“ die Unabhängigkeit unserer familiengeprägten Aktiengesellschaft am Herzen. Über 25 Jahre lang verteidigt er das Unternehmen entschlossen und konsequent gegen mehrere Übernahmeversuche aus der Zuckerindustrie und der Agrochemie. 1994 gewinnt er den Unternehmer Arend Oetker als verlässlichen Partner. Seitdem sichert der mehrheitliche Aktienpool Büchting/Oetker die Eigenständigkeit der KWS – inzwischen in der nächsten Generation vertreten durch Marie Schnell, eine Tochter Arend Oetkers, und Felix Büchting. |
Weiterführende Informationen
- Sonderheft KWSintern, Klein Wanzleben, KWS und die Wende, 2019
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